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Die Wunderkammer des Waisenhauses wurde zwischen 1736 und 1741 als Kunst- und Naturaliensammlung eingerichtet. In den Quellen wird sie meist als »Naturalienkammer« bezeichnet. Die Kammer stand allen Interessierten offen und wurde im Rahmen von Führungen gezeigt. Anders als in einem modernen Museum ging es in der Wunderkammer nicht in erster Linie um das einzelne Objekt, sondern um die Gesamtheit der Objekte. Sie diente im Wesentlichen vier Zwecken: der Ehre Gottes und seiner Schöpfung, der Wissenschaft, dem Schulunterricht und als Werbeinstrument für die Franckeschen Stiftungen und den Halleschen Pietismus.

 

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Sehen Sie hier einige stimmungsvolle Ausschnitte aus der Kunst- und Naturalienkammer.

Neugier

In den Sammlungen der Renaissance und Frühen Neuzeit sollten die ausgestellten Dinge auch den Status ihrer Besitzer:innen zur Schau stellen und Neugier wecken. Bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein gehörte Verwunderliches, Kurioses, Außergewöhnliches und Unerklärliches zur Inszenierung von Kunstkammern und Raritätenkabinetten selbstverständlich dazu.

Im Religionsschrank steht eine Drachenfigur aus Rochenhaut, genannt Basilisk, wie sie auch in anderen alten Sammlungen vorkommt. Der Name »Bachi aus China« und die bischofsähnliche Kopfform könnten auf den Jesuiten Leonhard Bachin hinweisen, der einst als Antichrist galt. Trotz religiösem Anschein ist die Figur kein Kultobjekt, sondern ein von Seefahrern gefertigtes Sammlerstück. Gründler stellte sie zudem symbolisch auf dem Tierschrank dar – als Hinweis auf ihre tatsächliche Herkunft.

Wissenschaft

Korallen waren in frühneuzeitlichen Raritätenkabinetten beliebte und sehr kostbare Sammlungsobjekte, denen mitunter magische Wirkungen zugeschrieben wurden. Lange Zeit stritten Sammler und Naturkundler darüber, ob es sich bei den faszinierenden Gebilden um Steine oder Pflanzen oder gar beides handelt. Heute ist klar, dass Korallen kleine Meerestiere sind, die in allen Weltmeeren zu Hause sind. Da sie sich nicht selbst fortbewegen können, verharren sie ein Leben lang gemeinsam in Kolonien.

Unterricht

Die Wunderkammer diente pädagogischen Zwecken und wurde Schulklassen der Latina und des Königlichen Pädagogiums gezeigt. Mithilfe der Modelle wurden zum einen mögliche Arbeitsfelder und berufsspezifische Anforderungen und Techniken vorgestellt, zum anderen Grundlagen in angewandter Mathematik, Geometrie, Naturkunde, Ökonomie und Technik vermittelt.

Gotteslehre und Marketing

Die Kammer würdigte mit all ihren Objekten die Schöpfung Gottes und man verwies bei Besichtigungen immer auf das Gesamtwerk und dessen geistliche Wurzeln. Die Kammer war aber auch ein Ort, um die Franckeschen Stiftungen medial in der Öffentlichkeit zu präsentieren und für sie zu werben. Man erkannte bereits im 18. Jahrhundert sehr schnell ihren Wert als Publikumsattraktion und berichtete zum Beweis der eigenen Erfolgsgeschichte wie auch der des protestantischen Christentums überhaupt z.B. ausführlich über die Missionsarbeit in Indien.

Bei Bränden nahezu unversehrt gebliebene Bücher deuteten die Menschen der Frühen Neuzeit oft als großes Wunder. Auch den Franckeschen Stiftungen wurden mehrere Drucke zugeschickt, die den Flammen getrotzt haben sollen. Neben der Bibel waren mit Gebetbuch, Andachtsbuch und Gesangbuch die wichtigsten Gattungen der protestantischen Erbauungsliteratur vertreten. Sie galten als Ausdruck des besonderen göttlichen Schutzes, der über diesen in pietistischen Kreisen viel gelesenen Büchern lag.

Die Ordnung der Kammer

© Franckesche Stiftungen

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